Friedensnobelpreis 1963: Internationales Komitee vom Roten Kreuz/Liga der Rot-Kreuz-Gesellschaften

Friedensnobelpreis 1963: Internationales Komitee vom Roten Kreuz/Liga der Rot-Kreuz-Gesellschaften
Friedensnobelpreis 1963: Internationales Komitee vom Roten Kreuz/Liga der Rot-Kreuz-Gesellschaften
 
Das IKRK und die Liga der Rot-Kreuz-Gesellschaften wurden gemeinsam für ihren weltweiten humanitären Einsatz ausgezeichnet.
 
 
Internationales Komitee vom Roten Kreuz (IKRK),1863 in Genf gegründet. Zentrales Organ des Roten Kreuzes, das über die Einhaltung der 1864 beschlossenen und 1929 erweiterten Genfer Konvention wacht und die Arbeit der mittlerweile 114 nationalen Rot-Kreuz-Verbände koordiniert.
 
Liga der Rot-Kreuz-Gesellschaften, 1919 in Genf gegründet als Bund der Gesellschaften Rotes Kreuz, Roter Halbmond und Roter Löwe. Internationale Vereinigung mit eigener Rechtspersönlichkeit und Koordinierungsstelle zwischen dem IKRK und den nationalen Rot-Kreuz-Gesellschaften.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Das IKRK hatte sich bei seiner Gründung durch den Schweizer Henri Dunant (Nobelpreis 1901) vor allem zum Ziel gesetzt, die Schrecken des Kriegs zu lindern. Nach den verheerenden Auswirkungen des Ersten Weltkriegs begann jedoch ein Umdenken in der Organisation: Von nun an setzte sich das IKRK aktiv für die Kriegsvermeidung ein. In einer Dokumentation über den Luftkrieg und den chemischen Krieg belegte das Internationale Komitee 1932, dass das uneingeschränkte Verbot der Bombardierung und der chemischen und bakteriologischen Kriegsführung die einzige Möglichkeit biete, die Zivilbevölkerung vor einigen der größten Kriegsgefahren zu schützen. Die Suche nach entsprechenden Schutzmöglichkeiten machte die Organisation zu einem der Wegbereiter des Zivilschutzes, was ihr gleichzeitig Kritik vonseiten der Friedensbewegung einbrachte, die dem IKRK vorwarf, den Krieg der Zukunft damit erst zu ermöglichen.
 
Am 5. September 1945, wenige Wochen nach dem Abwurf der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki, wandte sich das IKRK an die Öffentlichkeit und warnte als erste internationale Institution vor den Folgen dieser Waffe. Drei Jahre später beschwor die erste internationale Rot-Kreuz-Konferenz nach dem Krieg in Genf die Mächte, auf die so genannten blinden Waffen, die unterschiedslos Militär- und Zivilpersonen treffen, zu verzichten.
 
Der Ausbruch des Koreakriegs, die Verschärfung des Kalten Kriegs und die Herausbildung der Bündnisblöcke zwangen auch das IKRK, seine Rolle zu überdenken. Bisher hatte sich die Organisation mit rein humanitären Aktionen begnügt, doch Walter Bargatzky, Vizepräsident des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), warnte 1956 in einer Rede davor, zum bloßen Heilsgehilfen des menschlichen Elends herabzusinken. Bargatzky forderte ein neues Verständnis des Neutralitätsprinzips: »So wie sich im Atomkrieg die Grenzen zwischen Kombattanten [Kriegsteilnehmern] verwischen, so verwischen sich nun innerhalb des Roten Kreuzes die Grenzen zwischen Politik und Neutralität.«
 
 Für den Frieden
 
Appelle wie diese trugen dazu bei, dass sich das IKRK seit Beginn der 1960er-Jahre wieder verstärkt der Friedensaufgabe zuwandte. Diese Arbeit stand unter dem Motto »per humanitatem ad pacem«, durch Menschlichkeit zum Frieden. Auf Bitten des damaligen Generalsekretärs der UNO Sithu U Thant erklärte sich das IKRK 1962 während der Kuba-Krise sogar dazu bereit, 30 Inspektoren bereitzustellen, um die sowjetischen Schiffe, die auf dem Weg nach dem von den USA isolierten Kuba waren, daraufhin zu überprüfen, ob sie atomare Sprengköpfe transportierten. Diese Aktion erübrigte sich, weil sich beide Staaten vorher einigten; doch die Bereitschaft des IKRK, diese Aufgabe zu übernehmen, macht grundsätzlich den Wandel im Selbstbewusstsein der Organisation sichtbar.
 
Die Verleihung des Friedensnobelpreises im Jahr 1963 (nach den Nobelpreisauszeichnungen der Jahre 1917 und 1944) förderte zweifellos diese Tendenzen: Die 20. Internationale Rot-Kreuz-Konferenz verabschiedete 1965 »Grundsätze der Internationalen Rot-Kreuz- und Rot-Halbmond-Bewe- gung«, die im Jahr 1986 auch in die Statuten aufgenommen wurden. Darin verpflichtet sich die Rot-Kreuz-Bewegung offiziell dazu, gegenseitiges Verständnis, Freundschaft, Zusammenarbeit und einen dauerhaften Frieden unter allen Völkern zu fördern. Der so genannte »Tansley-Report« stellte 1975 fest, dass das Rote Kreuz drei Möglichkeiten habe, für den Frieden zu wirken: Erstens durch allgemeine politisch fordernde Erklärungen (Resolutionen), die den Frieden selbst oder spezielle Friedensobjekte betreffen — an der Aktivität solcher Maßnahmen bestünden aber Zweifel; zweitens durch indirekte Beiträge für den Frieden auf verschiedenen Tätigkeitsfeldern, die den Schutz, die Hilfe, Gesundheit und Wohlfahrt und vor allem die Entwicklungshilfe betreffen — diese Form der Aktivität werde allgemein anerkannt; und schließlich drittens durch direkte Aktionen für den Frieden, etwa die Verurteilung von Aggressoren. Das Dokument bestätigte die Unzufriedenheit mit den schon gewohnten Resolutionen zu Frieden und Abrüstung und die Befürchtung vieler Mitglieder, durch direkte Aktionen die Bewahrung der Grundsätze des Roten Kreuzes zu gefährden.
 
 Faktoren des Friedens
 
Dennoch scheint sich in neuerer Zeit die Tendenz durchzusetzen, dass das Internationale Rote Kreuz konkrete und direkte Beiträge zum Frieden leisten muss. Im Juni 1975 billigte die erste Weltfriedenskonferenz des Roten Kreuzes, an der 220 Repräsentanten von 81 Rot-Kreuz-Gesellschaften, das IKRK und die Liga teilnahmen, ein Aktionsprogramm: Dieses bisher umfangreichste Dokument über die Aufgaben der Organisation listet von der Entwicklungshilfe bis zu den Menschenrechten, vom Schutz der Kriegsopfer bis zur Entfaltung des Völkerrechts zahlreiche Faktoren und ihre Bedeutung für den Frieden auf. Frieden wird danach als dynamischer Prozess der Zusammenarbeit zwischen den Staaten und Völkern verstanden, gegründet auf Freiheit, Unabhängigkeit, nationale Selbstbestimmung, Gleichheit, Achtung der Menschenrechte, aber auch auf gerechte Verteilung der Ressourcen, um die Bedürfnisse aller Menschen zu befriedigen.
 
 Strukturen des Roten Kreuzes
 
Die Liga arbeitet eng mit dem IKRK zusammen und vollzieht Mandate, die ihr von der Internationalen Rot-Kreuz-Konferenz übertragen wurden. Diese Konferenz ist das höchste beschließende Organ des Internationalen Roten Kreuzes, das sich aus Abordnungen von Bevollmächtigten der nationalen Gesellschaften, des Internationalen Komitees und der Liga sowie den Staaten zusammensetzt, die an die Genfer Abkommen gebunden sind. Die Konferenz tritt in der Regel alle vier Jahre zusammen. In den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg lag die Mehrzahl der Aktivitäten in Europa, doch nach dem Ende der Kolonialzeit verlagerten sich die Gewichte in die so genannte Dritte Welt. 1957 tagte die Internationale Rot-Kreuz Konferenz erstmals in einer asiatischen Stadt (Neu-Delhi), im Jahr 1962 wurde eine Abteilung für Entwicklungsplanung gegründet. Die Häufung von Naturkatastrophen und — als Folge der Bürgerkriege nach dem Ende der Kolonialzeit — die Flüchtlingsströme in Afrika und Asien stellen immer höhere Anforderungen an die Solidarität der Rot-Kreuz-Gesellschaften.
 
M. Geckeler

Universal-Lexikon. 2012.

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